Hier, in der Rubrik "Schriftfragmente", findet ihr einige, kurze Auszüge aus meinen Werken, die ohne Zusammenhang und ohne Umgebung funktionieren und ganz für sich stehen. Es sind Bruchstücke, nur wenige Zeilen meist, die Eindrücke geben können, wie ich schreibe und die für mich persönlich - trotz ihrer Kürze - wertvoll sind.
Vielleicht sind die Menschen, bei denen wir bleiben, immer diejenigen, die uns verletzen können.
Wenn die Welt Kopf stand, wenn richtig falsch war und falsch richtig, wenn alles, woran er je geglaubt hatte, zusammengefallen war wie ein Kartenhaus und wenn es niemanden mehr gab, der ihn auffangen hätte können, niemanden, der ihm eine Hand reichte - wenn einfach alles eingestürzt war und alles Wichtige seine Bedeutung verloren hatte - wer war er dann noch?
Niemand, dachte er. Und weil man nicht als Niemand exisiteren konnte, gab es nur eine Alternative. Nicht zu existieren.
* * *
Seine Lungen dehnten sich aus, sein Herz schlug, sodass er es deutlich spüren konnte, und er konnte nicht glauben, dass dieser Moment nicht echt war.
Und echte Momente erforderten echte Menschen. Und weil echte Menschen nicht nicht existieren konnten, gab es nur eine Alternative.
Leben.
Vielleicht werden die Wellen uns tragen - irgendwo auf der Grenze zwischen lieben und geliebt werden.
Sie lauscht in sich hinein, als sie es merkt - merkt, dass sie ihre Hände so fest umschlungen hält, dass ihre Fingerknöchel weiss hervortreten.
Sie hat sich eingeredet, nicht nervös zu sein, doch als sie nun daran denkt - an gleich, an in-zwei-Minuten, an ihr-Zug-wird-langsamer, weiss sie, dass sie sich etwas vorgemacht hat. Sie muss
ein bisschen lächeln - über sich selbst, über die ganze Situation - und der Mann, der ihr gegenüber sitzt, lächelt zurück, weil er denkt, dass das Lächeln ihm gilt.
Er öffnet den Mund, wohl um etwas zu sagen - um sie anzusprechen, doch sie wendet den Blick auf ihre Hände, die noch immer eng ineinander verschlungen auf ihrem Schoss liegen und ihr Herz
hämmert so stark gegen ihren Brustkorb, dass es beinahe wehtut.
Der Mann vor ihr schweigt - vielleicht spürt er sie - die Nervosität. Jeder in diesem Zug muss sie spüren können, denkt sie und sieht aus dem Fenster, sieht dass der Zug nun beinahe zum
Stehen gekommen ist. Es ist lustig, dass sie geglaubt hat, nicht nervös zu sein.
Sie löst ihre Hände, greift nach ihrer Tasche und strafft die Schultern.
Ihr Bauch schlägt noch zwei Salti, als sie aufsteht, doch ihr Lächeln ist nun nicht mehr so wacklig und ihre Beine tragen sie zur Tür.
Sie atmet tief durch, als ein kleines Mädchen sie mustert und fragt sich, ob man ihr die Nervosität noch ansieht oder ob das kleine Mädchen nur deshalb schaut, weil sie ein Kleidchen trägt
und Lippenstift und ihr Haar in weichen Wellen über ihre Schultern fällt - weil sie sich aufgehübscht hat. Der Zug hält an, die Türen öffnen sich und ihr bleibt keine Zeit mehr für Gedanken, fürs
Analysieren, fürs Nervös-Sein. Sie tritt hinaus und hinter der ganzen Nervosität spürt sie noch etwas Anderes. Freude.
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