Momente wie in Zeitaufnahme, festgehalten in der bunten Welt der Farben.

Dario und sie - die Kleinigkeiten, die einen Augenblick zu etwas Besonderem machen. Doch reicht das? Und wann ist jemals der richtige Zeitpunkt, um zu bleiben?



Gelb.

 

Dario wusste nicht mehr, wann er angefangen hatte, Momente in Farben aufzuteilen. Wahrscheinlich schon als Kind, vielleicht, wenn ihm sein Leben trist und farblos vorgekommen war. Tatsache war, dass er es tat und dass dieser Moment gelb war.

 

Gelb wie die Sonne, gelb wie Kornfelder, wie Honig und wie ein leichtes Kribbeln – wie die Gänsehaut, die nur Berührungen auslösen konnten.

 

Es war nur ein Moment – so kurz wie der Flügelschlag eines Zitronenfalters und so sacht wie der Wind im Kornfeld. Es war nur ein Moment und doch blieb er daran hängen wie an zähflüssigem, klebrigem Honig.

 

Als er seine Hände zurückzog und der Körperkontakt abbrach, war der Moment auch schon wieder vorbei.

 

Blau.

 

Seine Finger fuhren über die Lettern, die kaum zu spüren waren in diesem groben Blatt Papier und er schloss die Augen.

Ein Brief – nur ein kleiner, kleiner Brief. Das war alles.

 

Er atmete tief durch und die Zeilen prägten sich in seine Gedanken und er wusste – er würde sie nie vergessen, würde jedes Wort auskosten – so, wie man jeden Schluck Wasser auskostete, wenn man wirklich durstig war – und jeden Atemzug, wenn man vergessen hatte, dass Luft lebenswichtig war.

 

Es fühlte sich blau an – blau wie die Ferne. Blau wie die Prise Salz, die der Wind mit sich brachte – noch lange bevor man auch nur in die Nähe des Meeres kam.

Sehnsucht. Es war die blanke Sehnsucht.

 

Rot.

 

„Nach der ganzen Zeit wagst du es, hier aufzukreuzen und so zu tun, als wäre kein Tag vergangen? Nach der ganzen Zeit, in der du mir nur einen einzigen Brief geschrieben hast? Nur einen einzigen, verdammten Brief!“

 

Wenn ein Moment rot sein konnte, dann war es dieser. Er war rot wie das Blut der schreienden Seele, rot wie die Flagge, die nur dazu diente, den Stier zum Kampf herauszufordern und rot wie die Wunden, die zu lange gereizt worden waren.

 

„Es war nie der richtige Zeitpunkt“, sagte sie leise und obwohl die Worte sich noch roter anfühlten, wandelte sich der Moment in etwas Anderes, Friedlicheres.

 

Vielleicht wusste Dario, dass sie glaubte, Recht zu haben. Vielleicht war aber auch das Blau des Briefes noch zu präsent, um das Rot halten zu können.

 

Das Rot verblasste – zurück blieb irgendetwas Anderes, dem Dario keine Farbe mehr zuordnen konnte. Zurück blieben er – und sie.

Vielleicht gab es dafür keine Farben.

 

Weiß.

 

Sternengleiche Funken tanzten vor Darios Augen, als sie die Lippen auf seine drückte und ihre Körper so dicht beieinander waren, wie zwei Körper es nur sein konnten. Sie waren beieinander, ineinander, mit einander verbunden.

Weiße Funken. Weiß wie Licht im Dunklen und wie der Himmel. Weiß wie ein unausgesprochenes ‚verlass mich nicht’.

Weiß wie das Wissen um das Unausgesprochene. Weiß wie stille Übereinkünfte.

 

Manchmal bedurfte man keiner Worte, um sich einig – in Einigkeit – zu sein. Manchmal bedurfte man keiner Farbe – nur etwas Licht.

 

Grau.

 

Grau – wie sein Leben ohne sie.

 

Grau – und immer wieder blau.

Blau wie die Ferne. Blau wie die Prise Salz, die der Wind mit sich brachte – noch lange bevor man auch nur in die Nähe des Meeres kam.

Sehnsucht. Es war die blanke Sehnsucht.

Immer wieder blau. 

 

Grau – wie sein Leben ohne sie.

 

Braun.

 

Sein Herz klopfte so hart und schnell und laut gegen seinen Brustkorb, dass Dario sich beinahe an die Brust gefasst hätte – um es zu stillen, um dem Sehnen nach Berührung nachzukommen.

 

Doch seine Hand war nicht in der Lage, die Wunden, die zu lange gereizt worden waren, zu heilen – sie war nicht in der Lage, das Blau auszulöschen. Nicht seine Hand.

„Schon wieder du?“, fragte er.

 

Das schwarze Haar nahm in der Sonne einen warmen Braunton an und Dario wusste, dass es sich auch so anfühlte – braun. Braun, wie die Rillen eines ehrwürdigen Baustamms und warm wie die Erde des Sommers, während die Seele die Sonne trank.

„Ich will dieses Mal bleiben.“

 

Dario lachte auf, doch sein Herz war nicht so misstrauisch wie sein Verstand, denn es glaubte ihr sofort – natürlich tat es das. Ihr Haar fühlte sich braun an – braun, wie die Erde des Sommers, während die Seele die Sonne trank. Braun wie die beständigen Rillen eines ehrwürdigen Baumstamms.

„Sicher?“, fragte er nur, konnte den hoffenden und misstrauischen Ton nicht verbannen.

 

„Nein. Aber es fühlt sich so an.“

Dario gab nach – denn seine Hand konnte die Wunden, die zu lange gereizt worden waren, nicht heilen. Er konnte das Blau nicht auslöschen. Nur das Braun konnte es.

 

Grün.

 

Grün hatte in Darios Welt nur eine einzige Bedeutung – nur eine.

 

Ihre Augen waren grün.

Er lächelte. Dario mochte grüne Momente und sie hatte gesagt, dass sie bleiben würde.

 

Er fügte der Farbe eine weitere Bedeutung an – nur eine.

 

Bleiben.

 

Grün, wie ihre Augen und wie Bleiben. Bei ihm.

 

Damit Wunden, die so lange gereizt worden waren, heilen konnten, brauchte es viel Zeit. Doch die braunen Momente ließen Darios Innerstes lächeln, so lange, bis seine Seele die Sonne trank.

 

Grün bedeutete, dass mehr braun für ihn da war.

 

Bleiben.